Das Mieder

Die attraktive Rosy hat mehr Fortune bei den Herren der Schöpfung als ihre eher schlicht aussehende Freundin Steffi.

Genervt von ihren erotischen Niederlagen tätigt Steffi einen Frustkauf: Sie ersteht in einem kleinen Berliner Wäscheladen ein wunderhübsches weißes Mieder – und seitdem ist alles anders. Die Männer umschwirren sie wie die Motten das Licht. Und erst dieser fantastische Sex! Steffis Glück scheint vollkommen. Doch rasch verliert sie die Kontrolle über ihre Gefühle.
Da blüht für Steffi unverhofft eine verrückte Liebe auf – doch auch Missgunst, Neid und Habgier gedeihen prächtig. Denn bald haben es viele in Steffis Nähe bemerkt: Dieses Mieder birgt ein Mysterium, ein Geheimnis. Nun beginnt eine hässliche Jagd. Jeder möchte dieses Kleidungsstück in seinen Besitz bringen, das scheinbar nicht nur höchstes Liebesglück, sondern möglicherweise auch gutes Geld verspricht.
Plötzlich begegnet Steffi einem Fremden, der die dunkle Seite ihres Verlangens weckt. Als sie sich ihren Fehler eingesteht, ist es eigentlich schon zu spät ...
 
 
Autorenporträt

Wolfgang Rill, Jahrgang 1949, ist ehemaliger Lehrer. Er arbeitete viele Jahre in Berlin und Breslau/Polen und lebt jetzt in Fulda und Thailand. Er ist seit vielen Jahren literarisch tätig und schreibt vornehmlich Geschichten, die er selber gerne lesen würde.
 
 
Leseprobe
 
Der ewige Anfang ging so: An einem warmen Augusttag gab sich ein junger Mann einen Ruck und sprach eine junge Frau an. Er verliebte sich in sie. Sie verliebte sich in ihn. Sie taten, was alle tun. Aber dann merkte sie, dass er der Falsche war. Da war es zu spät.
Das alles geschah in dem Land Deutschland in der Stadt Berlin. Der Ort, wo es begann, war die Trabrennbahn Mariendorf.
„Verzeihung, ich habe das noch nie gesehen: Sie funkeln.“
„Ich funkle? Man hat ja schon einiges gehört, aber das hat mir noch niemand gesagt. Ich weiß auch gar nicht, ob sich das gehört, so etwas zu hö ... zu sagen. Sagen Sie das immer zu Frauen?“
„Ich sagte doch: Nur wenn ich so etwas erlebe, und ich habe das noch nie erlebt.“
„Ich funkle. Aha.“
„Ja.“
„Und wo?“
„Ich will ehrlich sein. Sie funkeln insgesamt. Aber besonders hier um die Taille und vorn etwas höher.“
Der Rest des Gesprächs wurde von immer lauteren Rufen überdeckt. Rings herum waren Leute aufgesprungen und feuerten ihre Pferde an. Für alle ging es um Geld: Zwischen zwei Euro fünfzig und hundert Euro hatten sie gesetzt.
„Haben Sie auch gesetzt?“, rief die junge Frau, die angeblich funkelte, dann war nur noch Gebrüll zu hören. Man sah, wie der Mann neben ihr laut auf sie einsprach. Er war salopp gekleidet in Jeans und einem dunkelroten Hemd der teuren Sorte. Sie tippelte jetzt auf Zehenspitzen, und ihr blonder Schopf schob sich abwechselnd links und rechts über die Schultern der Vorderleute, um einen Blick auf die Bahn zu erhaschen. Sie sah ihren Nachbarn nicht mehr, aber sie rief abgerissene Wortfetzen. Er legte sich ins Zeug, näherte seinen Mund ihrem Ohr, kümmerte sich nicht um die Pferde. Die bogen in die letzte Kurve ein. Die Jockeys trieben sie mit Reitgerten über die Bahn. Die Arme beschrieben halbrunde Bögen über den Hinterteilen der Gäule. Die Zielgerade. Das Gebrüll wurde noch lauter und verebbte plötzlich in hundert „Ohs“ und „Achs“. Es grummelte in der Menge. Man sah zur großen Anzeige auf dem Feld, auf der die Gewinnquoten erscheinen würden. Die Leute liefen auseinander nach vorne an den Rand der Bahn, nach hinten zu den Wettschaltern und Würstchenständen. Kinder krakeelten. Die beiden standen noch da.
Er wird ihr gesagt haben, dass er Angestellter bei der Firma Soundso sei und sie, dass sie bei einer Behörde im Büro arbeite. Sie sei auch nicht alleine hier, sondern mit Freunden aus dem Büro. Die trieben sich jetzt irgendwo herum.
Er sei mit einem Freund gekommen, der sei jetzt auch irgendwo. Ob sie öfter zur Trabrennbahn käme?
Ob er öfter käme?
Ob sie Galopp auch spannender fände?
Ob er auch gerne galoppiere?
Ob sie ... nachher noch Zeit habe? Vielleicht zu einer Pizza? Er kenne da eine ganz besonders gute, etwas weiter weg. Er sei mit dem Auto ...
„Ist sie teuer?“
„Wer? Was?“
„Die Pizzeria?“
„Bisschen über normal. Ich lade Sie natürlich ein.“
„Ich weiß nicht ...“, so zierte sie sich. „Aber wenn überhaupt, zahle ich selbst. Lasse mich nicht gern ... Verdammt! Sehen Sie doch!“
„Was?“
„Ganz Famos! Eins zu sechsundvierzig! Ich habe ...“
„Haben Sie? Ich auch. Wenn das kein Zeichen ist.“
Als vorsichtiger Arbeitnehmer hatte er Ganz Famos, weiß Gott kein Favorit, auf Platz gesetzt. Das brachte ihm den achtfachen Einsatz. Achtzig Euro.
Als vorsichtige Angestellte hatte sie fünf Euro gesetzt. Die allerdings auf Sieg. Das brachte zweihundertdreißig ein.
Sie gingen gemeinsam zum Schalter und zeigten ihre Wettscheine. Keine Spur von den Freunden. So ein Zufall.
Sie haben noch ein wenig geschnäbelt und kokettiert. Jetzt schon hinten in der Tribüne, nicht weit vom Ausgang. Er versuchte zu imponieren, lächelte, lachte, grinste, wurde ernst, männlich, gleich wieder fröhlich, legte ihr die Hand auf den Arm. Sie spreizte das Gefieder, zeigte ihm ihren Mund, ihr Funkeln.
„Ich heiße Dietrich.“
„Meine Name ist Stefanie. Für Freunde Steffi.“
 
Die Pizzeria hieß „Bei Massimo“ und lag in Zehlendorf, nicht weit vom Mexikoplatz. Er hatte einen feuerroten BMW. Mit Schiebedach. Die Sonne schien dauerhaft auf Armaturenbrett und Kühlerhaube.
Der Abend fand sie vor der Stadt in einem Café am See. Als es dunkel wurde, kamen sie von einer Runde um den See zurück. Man konnte nicht sehen, was genau geschah, es war ja dunkel. Nur dass sie aufgehört hatten zu schnäbeln und sich an den Händen hielten, das konnte man erkennen.
Sie wohnte in Halensee, er in Wilmersdorf. Sie wählten Wilmersdorf.
Im Auto schon hatte sie amüsiert und diskret zur Seite geschaut, weil er auf dem Sitz herumrutschte, seine Hose sich ausbeulte, er Schmerzen hatte und unbedingt etwas bequemer hinrücken musste. Im Lift drängte er sie an die Wand und sie sagte: „Hast du eine Klarinette in der Hose?“ In der Wohnung hielten sie sich nicht lange mit Nebendingen auf. Man sah ihn nackt mit gerecktem Schweif und das Bett. Man sah, wie sie ihren Rock herunterzog, ihre Bluse, ihre Strümpfe sorgfältig auf einem Schemel drapierte. Man sah, dass sie ein weißes Mieder anhatte. Das Mieder war so gebaut, dass es nicht störte. Weder oben noch unten.
„Lass es an!“
„Wie bitte?“
„Das Mieder. Steffi. Lass es an.“
„Pervers, was?“ Aber sie ließ es an.
Dann ging das Licht aus.
Die Nachbarn rechts und links und oben und unten, alles Junggesellen und Junggesellinnen in komfortablen kleinen Appartements, blickten sich am nächsten Tag verständnisinnig an. So was, der Dietrich. Ist doch sonst nicht so laut.

Preis: 10,95 

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